Die WHO anerkannte Ende der 1980er-Jahre die zunehmende Häufigkeit der Suizide auf dem europäischen Kontinent als Problem und berichtete über grosse Unterschiede in der Anzahl suizidaler Handlungen in den verschiedenen Ländern. Daher lancierte die WHO im Rahmen der „Health for all by the year 2000“-Strategie die WHO/EURO-Multizenterstudie über suizidales Verhalten. Ziel dieser Studie war es, die epidemiologischen Trends bezüglich der Häufigkeit der Suizidversuche zu monitorieren und Voraussagen treffen zu können, welche Bevölkerungsgruppen besonders gefährdet waren, damit spezifische Präventionsmassnahmen entwickelt werden können. Die WHO/EURO-Multizenterstudie fokussierte auf Suizidversuche, da bekannt ist, dass ein erfolgter Suizidversuch der stärkste Prädiktor für einen vollendeten Suizid in der Zukunft darstellt (Isometsa & Lonnqvist, 1998; Harris & Barraclough, 1997) und Suizidversuche in den Ländern bisher nicht systematisch dokumentiert wurden. Da das Schweizer Studienzentrum in Bern die Datenerfassung 1999 sistierte, konnte das neue Zentrum in Basel stattdessen als Repräsentant der Schweiz die Erfassung ab 2003 fortführen. Erstmals konnten im ganzen Kanton Basel-Stadt für vier Jahre Suizidversuche dokumentiert werden, die dem medizinischen Versorgungssystem bekannt wurden. Einzigartig war, dass es sich beim Einzugsgebiet um einen ganzen Kanton handelt. Auch wurden Suizidversuche klar operationalisiert und dadurch bisherige methodische Schwächen früherer Studien behoben. Artikel 1 beschreibt die Suizidversuchsraten/100'000 Einwohner der wichtigsten soziodemografischen Gruppen und gibt klinische Details (z.B. über bestehende psychiatrische Erkrankungen oder verwendete Intoxikationssubstanzen) bekannt. Die mittlere Suizidversuchsrate lag bei 164/100'000 Einwohner. Frauen unternahmen doppelt so häufig Suizidversuche wie Männer. Präventionsmassnahmen sollten auf Risikogruppen abzielen, welche die höchsten Prävalenzraten zeigten: Es waren dies junge Erwachsene im Alter von 20–24 Jahren, Alleinstehende, Menschen mit Migrationshintergrund oder wenig Bildung sowie Erwerbslose. Über 90% weisen psychische Störungen auf, am häufigsten Depression. Der Zugang zu vorwiegend Benzodiazepinen und nichtsteroidalen Antirheumatika sollte erschwert werden, da sie die am häufigsten verbreiteten Substanzen der Selbstvergiftungen darstellen. Auch Diagnostik und Behandlung von affektiven Störungen sollte verbessert werden. Artikel 2 lehnte sich an die bisher im Kanton Basel-Stadt etablierte Migrationsforschung an (Yilmaz & Riecher-Rössler, 2008, 2012) und fokussierte auf die Unterschiede zwischen Schweizern und der gefährdeten Gruppe der türkisch-stämmigen Migranten. Es konnte repliziert werden, dass die Raten der Migranten fast dreimal so hoch waren wie die der Schweizer und, dass Frauen doppelt so oft Suizidversuche begingen wie Männer. Besonders hervorstechend waren erneut die Suizidversuchsraten der jüngeren Altersklassen. Im Gegensatz zur lokalen Bevölkerung litten die türkischen Migranten öfters an Anpassungsstörungen und verwendeten öfters Medikamente, v.a. Analgetika. Präventionsmassnahmen sollten daher die Medikamentenabgabe von Schmerzmitteln (auch der frei verkäuflichen) stärker kontrollieren, und Ärzte sollten bei der Verordnung auf Präparate mit geringer Toxizität achten. Artikel 3 widmete sich dem in der Suizidologie spärlich behandelten Thema der Kosten von Suizidversuchen. Suizidversuche verursachen substanzielle direkte medizinische Kosten, die neben den indirekten Kosten nur einen Teil der finanziellen Belastungen für das Allgemeinwesen darstellen. Deshalb wurden die jährlichen direkten medizinischen Kosten aufgrund von Suizidversuchen im Kanton Basel-Stadt berechnet und analysiert, welche Variablen die Zugehörigkeit zur Hochkostengruppe bedingen. 2003 fielen Behandlungskosten für die Suizidversucher von 3'373'025 CHF an, die hauptsächlich auf die psychiatrische Versorgung zurückzuführen waren. Der Kostenmittelwert pro Fall lag bei 19'165 CHF und der entsprechende Kostenmedian bei 6'108 CHF. Für die Schweiz hochgerechnet ergaben sich jährliche Behandlungskosten von 191 Millionen Franken. Variablen, die die Chance erhöhten, ein Hochkostenfall zu sein, waren: Depressionsbetroffen, älter als 64 Jahre, Intensivpflege erhaltend, tödliche Absichten äussernd und harte Methoden verwendend. Daher sollten kosten-effektive Präventionsmassnahmen v.a. auf Menschen mit affektiven Störungen und Senioren abzielen. Ein geeignetes Präventionsprogramm, das auf mehreren Interventionsebenen operiert und die einzelnen genannten Risikogruppen der Artikel 1 bis 3 miteinbeziehen könnte, wäre ein „Bündnis gegen Depression“ nach dem Beispiel von Hegerl, Althaus, Schmidtke und Niklewski aus Würzburg (2006).
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